Die Wunderblutkapelle

wunderblutkapelle

 

An dieser Stelle ist die Wunderblutkapelle zu betrachten. Sie wird in der wenig vorhandenen Literatur einfach als gegeben betrachtet, schließlich hat man hier die klare Aussage der zwischen der Äbtissin des Magdeburger Moritzklosters und Pfarrherrn und Bürgern von Beelitz getroffenen Vereinbarung von 1370. Der vorhandene Baukörper andererseits gibt dennoch dem aufmerksamen Betrachter einige Rätsel auf. 

Die heutige Kapelle scheint auf den ersten Blick, innen wie außen, ein Bauwerk des frühen 16. Jh. Außen erweckt diesen Eindruck das übergreifende Dach, das die Kapelle wie ein bloßer Anbau erscheinen läßt. Aber noch die Postkarten des frühen 20. Jh. zeigen ein steileres, deutlich gegenüber der Kirche selbständigeres Dach. Innen bestimmt den Eindruck das Kuppelgewölbe mit seinen einge-schnittenen Spitztonnen. Dieses Gewölbe setzt eindeutig die Öffnung zur Kirche voraus:

Der Stern bezieht sich auf eine durch die Richtung des Zugangs von der Kirche bestimmte Mittelachse, die Einwölbung hängt statisch ganz eng mit dem Durchbruch durch die Nordwand des frühgotischen Chorquadrats und dem Umbau der Feldsteinkirche des 13. Jh. zur dreischiffigen Halle zusammen. Die tragenden Kämpfer und Pfeiler-vorlagen zeigen Renaissance-Einfluß.

 

Anders die aufgehenden Flächen von Außen- und Innenwand. An der Außenhülle unterscheiden sich der sorgfältiger gemauerte Feldsteinunterbau ebenso deutlich von der eher rohen Flächigkeit der Chorarchitektur wie die knapperen Strebe-pfeiler und die in Backstein aufgeführte Fensterzone mit ihren dreifach getreppten Laibungen und einem außen umlaufenden Rundstab, der den zugemauerten Fenstern des Langhauses näher steht als den sie ersetzenden großen heutigen Fenstern. Hierzu gehört auch der - modern ersetzte - Fries, während man sich das heutige Gesims wird wegdenken müssen zugunsten eines unmittelbar darüber ansetzenden konischen Daches, wie es für Zentralbauten jener Zeit üblich war.

 

Stadtpfarrkirche Beelitz - vermutl. im 19. Jh.Die Zweigliederung des Äußeren - ein wichtiges Detail - stimmt mit dem inneren Aufbau vollkommen überein. Die Nischen des inneren Unterbaus, seit 1996 wieder freigelegt, gehören offenbar der gleichen stilistischen Phase an wie die Fenster: Jeweils zwei Nischen tragen eine Fensteröffnung. Ein so sorgfältig geplanter Raum dürfte ebenfalls schon gewölbt gewesen sein, vermutlich dann aber mit einem einfacheren Rippengewölbe. Zu dieser Wölbung gehören wohl auch am Äußeren die erhaltenen fünf Strebepfeiler. Ist die so erschlossene Kapelle aber tatsächlich eine selbständige, ringsum geschlossene achteckige Kapelle gewesen? Dazu müßte man u.a. wissen, wo der Eingang lag. Die vermauert erhaltene Eingangssituation der OSO-Seite ist jedenfalls jünger. Offenbar hat man, und zwar wohl noch im 15. Jh., die Südostseite des Achtecks abgebrochen und dort die heutige, wesentlich dünnere Backsteinwand eingesetzt.

 Stadtpfarrkirche mit Wunderblutkapelle 2005

In Verbindung mit der Herstellung dieser Backsteinwand scheint es auch zu einer ersten Verbindung zwischen Kapelle und damals noch flachgedecktem Chor der Kirche gekommen zu sein. So wenigstens muß man das treppenturmartige Gebäude verstehen, das, von außen noch gut sichtbar, im östlichen Winkel von Kapelle und Chorwand steht.

 

Eine Türöffnung ist erkennbar, die einen Treppenvorbau voraussetzt, außerdem in größerer Höhe eine Fensteröffnung. Damit bleibt ungeklärt, wo der ursprüngliche Eingang der Kapelle lag. Vermutlich auf der Nordseite. Auf einem Foto um 1915 - vor Anlegung des inzwischen wieder verschwundenen Denkmals für die Gefallenen 1914-18 - sieht man hier ein gotisches Portal. Es gleicht aber so sehr den neugotischen Portalen der Längsseiten der Kirche, daß man annehmen muß, es sei ebenfalls eine Zutat der Restaurierung Ende des 19. Jh.. Es wäre sonst wohl auch nicht so umstandslos beseitigt worden. Die Beseitigung scheint übrigens der gleichen Logik zu folgen wie der Herstellung der Trennwand zwischen Kirche und Kapelle, könnte also gleichzeitig erfolgt sein, also 1969. Natürlich ist es möglich, daß das neugotische Portal von 1898 ein älteres Portal ersetzt hat. Dafür gibt es aber im heutigen Bestand keine Anzeichen: Geblieben sind die Unterbrechung des Sockelprofils und eine recht lieblose Vermauerung der vormaligen Portalöffnung mit Feldsteinen außen, sowie das fehlende Nischenpaar innen.

 

Baubrüche an der WunderblutkapelleWeiter fand 1993 die Bodendenkmalpflege bei einer begrenzten Ausgrabung auf der Nordseite der Kapelle, daß ein Profilschnitt vor dem ehemaligen Portal offenbar keine baulichen Aufschlüsse brachte, weder eine auf ein Portal auf Niveauhöhe  des 14. Jh. hinweisende Pflasterung, noch Spuren eines Vorbaus. Indessen ist nicht das Portal das wichtigste - die Kapelle war kein Versammlungs-, sondern ein Aufbewahrungsraum, mit entsprechenden Sicher-heitsreserven. Wie sonst hätte der Beelitzer Rat nach der Reformation die Kapelle als Tresor genutzt. Man muß immerhin annehmen, daß der oben beschriebene Apparat - Untergeschoß in Feldstein, Obergeschoß mit abschließendem Fries in Backstein - um alle acht Seiten herumführte. Dies gilt besonders für das sorgfältig gearbeitete, aus Kehle und Wulst bestehende Sockelprofil - falls es alt ist. Wenn andererseits die beiden Strebepfeiler der Kirchennordwand ebenfalls dieses Profil zeigen, im Unterschied zu den rohen Sockelprofilen der Südseite, so liegt es nahe, hier eine Übertragung von den abgebrochenen Strebepfeilern der bei Anschluß an die Kirche eingesparten Seiten des Achtecks anzunehmen. Wie eng Kapelle und Stadtkirche unter diesen Umständen beieinander standen, zeigt sich an der Westseite der Kapelle. Dort ist der Strebepfeiler weitgehend abgetragen und teilweise in Backstein ersetzt worden, bereichert um eine spitzbogige Nische. Die Wieder-aufmauerung gehört offensichtlich in den Zusammenhang der unmittelbaren Verbindung von Kirche und Kapelle, sie dient der statischen Absicherung des neuen Scheidbogens. Stellt man sich den vollständigen Strebepfeiler vor, dann muß er vor dieser Verschleifung aber sich fast oder auch tatsächlich mit der Nordostecke des Langhauses berührt haben. Nun muß man nur noch das heutige übergeschleppte Dach und die zwischen Dachansatz und Fries liegende moderne Kaffgesimszone wegdenken, statt dessen aber ein achtseitig gebrochenes Kegeldach vorstellen, wie es für derartige Kleinbauten im Mittelalter allgemein üblich war, um bei einem in sich weitgehend stimmigen Zustand anzukommen. Die stilistischen Details sind angesichts ihrer Erneuerung im 19. Jh. noch schwerer auf einen Zeitpunkt festzulegen, als das sonst der Fall wäre. Eine Datierung ins frühe 15. Jh. liegt nahe, nichts hindert aber auch daran, rundweg anzunehmen, dies sei eben die ab 1370 gebaute Kapelle.

 Wunderblutkapelle innen vor 1990

Wenn es hier überhaupt einen Zweifel gibt, dann gewisser Eigenheiten am Bau wegen und aufgrund der Befunde der Ausgrabung an der Nordseite der Kapelle. So sei, mit aller gebührenden Vorsicht, die Frage gestellt, ob nicht vielleicht das in Feldstein errichtete Untergeschoß älter ist als die vorgestellten Strebepfeiler. Diese scheinen fast in Quadersteinen gemauert, was den Eindruck fehlender Verzahnung mit der eigentlichen Wandschicht weckt. Zu dem weniger anspruchs-vollen Mauerwerk der Wandflächen paßt andererseits die erhebliche Unregel-mäßigkeit des Achtecks - möglicherweise hatten, anders als die Bauleute des 15. Jh., die Erbauer des Feldsteinbaus noch Schwierigkeiten mit der Geometrie? Dazu hat die Archäologie interessante Anmerkungen geliefert. Bei Bauarbeiten war der Pfeiler links des ehemaligen Portaldurchbruchs beschädigt worden, die Sockelverkleidung samt Profil war abgefallen und legte den Umstand bloß, daß der Zwischenraum zwischen Fundament und aufgehendem Pfeiler offenbar mit Backsteinmaterial gefüllt ist und die Quaderung des Pfeilers über dem Sockelprofil aufhört. Handelt es sich um eine bloße Verkleidung, möglicherweise sogar ein Werk der Restauratoren von 1898? Dafür spricht das nachfolgende Grabungsergebnis. Es zeigte sich, daß der Pfeiler großenteils auf einem modernen Backsteinfundament steht. Die photographische Aufnahme macht klar, daß dieses Fundament absichtlich leicht gekippt ist, also eine Ergänzung der offenbar beschädigten ursprünglichen Abstützung darstellt, welche durch größere Findlinge erfolgt, eine Fundamentierungsweise, die sich auch nach rechts, unter der ehemaligen Portalöffnung, fortsetzt. Das Backsteinfundament schneidet nun seinerseits in ein anschließend aufgedecktes Backsteinmauerwerk ein, ein Rechteck mit den Innenmaßen 1,8 x 2,7 m, ebenfalls modern, da mit Backsteinen im Reichsformat aufgemauert. Zwei Mauerzüge in Feldstein bilden hierzu, mit einer lichten Weite von 1,10 m, offenbar einen Zugang. Der mögliche Schluß, die gesamten Strebepfeiler seien, wie ihre heutigen Oberflächen, modern, ist also keineswegs zwingend.

 

Das bislang Beobachtete ist auch nach rückwärts offen. Dazu ein weiterer archäologischer Aufschluß: Parallel, aber unabhängig davon, wurde eine weitere, kompaktere Feldsteinmauer aufgedeckt. Diese läuft, genau in der Richtung des Strebepfeilers, von diesem weg, ist aber von der Fundamentierung des Pfeilers wie des eigentlichen Oktogons unabhängig. Auch die Archäologen standen also vor der Möglichkeit der Zweiseitigkeit: Offensichtlich wurde die grobe Mauer nachträglich an die Kapellenwand angebaut. Vermutlich erfolgte aber erst später der Bau des Pfeilers. Damit sollte immerhin die Hypothese erlaubt sein, die beobachteten Anzeichen seien auf einen älteren Erstzustand - von 1370, oder sogar um 1350 (?) - zurückzubeziehen. Man bewegt sich hier natürlich auf ganz unsicherem Boden, da es schwer fällt, mittelalterliche Zustände und neuzeitliche Reparaturen im Feldstein zu scheiden, von der flächendeckenden neugotischen Überarbeitung der Architekturformen ganz zu schweigen. Es handelte sich, wenn denn, von Anfang an um eine achteckige, jedoch niedrigere und noch flachgedeckte Feldsteinkapelle. Es wird zu fragen sein, ob es dafür im nordost-deutschen Kolonialgebiet Vergleichsfälle gibt. Diese achteckige Feldsteinkapelle wäre vermutlich etwas höher als der heutige Unterbau gewesen. In den heutigen Feldsteinwänden sind nämlich Spuren zugesetzter Fenster nicht erhalten. Der Feldsteinbau könnte in den abgebrochenen Partien Oberlichter enthalten haben. Falls man einen frühen Feldsteinbau andenkt, muß man ohnehin annehmen, daß bei Errichtung des Backstein-Oberbaus erhebliche Abbrüche fällig waren. Gleichzeitig war der gesamte Innenraum neu in Backstein auszukleiden, um die einheitliche Innenarchitektur von Nischenpaaren und darüber stehenden Fenstern zustande zu bringen. Aber beim jetzigen Kenntnisstand ist das Spekulation.

 

Quelle: Dieter Hoffmann-Axthelm, Das Wunderblut von Beelitz;

           Selbstpublikation der Stadt Beelitz 2005

 

wunderblutkapelle grundriss