Die Judenlegende

Die Nachzeichnung der Geschichte des Beelitzer Wunderbluts und der Wunderblutkapelle kommt historisch betrachtet und recherchiert  gut ohne das Element des jüdischen Hostien-frevels aus. Denn es gab offenbar in Beelitz gar keine Juden. Dies läßt sich auf doppelte Weise wahrscheinlich machen. Zum einen stand es jüdischen Kaufleuten keineswegs frei, sich mit ihren Familien anzusiedeln, wo sie wollten. Vielmehr waren sie entweder von Anfang an Teilnehmer des Gründungsvertrags, ein Umstand, der auf den engen Zusammenhang von königlichem Judenregal und königlichem Bestätigungsrecht von Stadterhebungen zurückgeht und in den staufischen Stadtgründungen seinen Prägestempel erhielt. Oder, zweite Möglichkeit, sie wurden, meist im Spätmittelalter, sekundär vom Landesherrn angesetzt, wie das in der Mark etwa für Rathenow, Nauen oder Mittenwalde bezeugt ist.

 

Beelitz lag mit Sicherheit außerhalb des Interessenbereichs jener kaufmännisch-konsortialen Landnahme, die mit der Stadtgründung auch jüdische Gemeinden in Städten wie Stendal, Spandau, Berlin, Frankfurt. Prenzlau entstehen ließ. Andererseits ist auch nicht bekannt, daß im 14. oder 15. Jh. sich der Landesherr bemüht hätte, in der kleinen Landstadt die eine oder andere jüdische Familie anzusiedeln. Es ist also überschießender Eifer, wenn man aus der Wunderblutlegende schließt: es habe im 13. Jh. in Beelitz Juden gegeben, mehr noch, wenn man aus der angeblichen Existenz von Juden auf einen bedeutenden Handelsstandort schließt, der Beelitz mit Sicherheit niemals gewesen ist.Das zeigt nicht zuletzt die relativ geringe Urbede von 16 Mark Silber, die das Landbuch Karls IV. für Beelitz ausweist.

 

Noch schwerer wiegt das philologische Argument. Die jüdische Hostienschändung ist eine Phantasie, die sich relativ langsam von Westen nach Osten fortpflanzte. Der früheste Prozeß ist für 1290 in Paris belegt - kurz darauf wurden alle Juden aus Frankreich ausgewiesen. Bereits 1287 hatte die angebliche Tötung des Knaben Werner zu einer Judenverfolgung, zur Heiligsprechung des Knaben und zur Errichtung einer Wallfahrt und der Kapelle oberhalb Bacharach geführt - ein Seitentrieb. Das Wunderblut geht, wie gesagt, auf das Jahr 1337 zurück.

 

Es fällt auf, daß die Fronleichnams- und Heilig-Blut-Patrocinien und zugehörigen Wallfahrten sich gerade in Bayern und in den Kolonialgebieten des Südostens und Nordostens - Brandenburg, Mecklenburg - häufen. So wurde die Grazer Judengemeinde 1449 offenbar wegen eines Hostienfrevels vernichtet, an die Stelle der Synagoge trat eine Heilig-Blut-Kapelle.

 

Im Nordosten ist die jüdische Hostienschändung ein Topos des späten 15. und frühen 16. Jh. Ausgangspunkt ist der Hostien-schändungsprozess von Sternberg im Jahre 1492, der zur Verbrennung der Sternberger Juden führte. Es ist bezeichnend, daß es seit 1442 auch in Sternberg eine Wunderblutwallfahrt gab, die von den Schweriner Herzögen eifrig unterstützt wurde. Das Sternberger Beispiel machte Schule, zu einer Zeit, da Städte und Adel die Landesherren massiv bedrängten, überhaupt keine Juden mehr in ihren Territorien zu dulden.

 

Die Beelitzer Legende steht also nicht alleine da, ein genaues Seitenstück bildet auch die Legende von Heiligengrabe. Diese Legende ist erstmals 1521 als Druck greifbar. Um so auffälliger ist, daß etwa gleichzeitig im Kloster eine Folge von Tafelbildern hergestellt wurde, welche die Legende in Bildform brachten. Die Vermutung ist nicht abzuweisen, daß damit die Heiligengraber Wallfahrt beworben und gegenüber Wilsnack hervorgehoben werden sollte, nachdem man gerade eine aufwendige Heilig-Grab-Kapelle fertiggestellt hatte.

 

Auch die Beelitzer Legende ist erstmals in Chroniken des 16. Jh. (Angelus, Creusinger) faßbar. Auch hier liegt der Verdacht nahe, daß ein Zusammenhang besteht zwischen der Neuorganisation der Wallfahrt - Neueinwölbung der Kapelle und Anschluß an die Kirche - und der Fabrikation einer um das aktuelle Motiv der jüdischen Hostienschändung bereicherten Wunderblut-Legende.

 

Beelitz kann also in dieser Hinsicht als entschuldet gelten -
entsprechende schuldbewußt und im Bewußtsein der ganz anderen Schuldlage des deutschen Judenmordes im 20. Jh. verfaßte Literatur könnte also aus dem Verkehr gezogen werden. Daß die angeblichen Judenköpfe in der Südwand der Stadtkirche keine Judenköpfe sind, hat sich ohnehin herumgesprochen.

 

Gesichter in der Südfassade

 

Quelle: Dieter Hoffmann-Axthelm, Das Wunderblut von Beelitz;

           Selbstpublikation der Stadt Beelitz 2005